„Licht zu senden in die Tiefen des menschlichen Herzens, soll die hohe ideelle Aufgabe der Waldbühne sein. Diesem Zweck soll die hier errichtete Freilichtbühne dienen.“ So hieß es im Jahr 1949 bei der Eröffnung der Waldbühne Bremke und das Motto gilt auch über 70 Jahre später noch immer. Nach langem Stillstand durch die Corona-Beschränkungen ist das Ensemble seit wenigen Tagen mit einem vielfältigen Programm wieder da.

Waldbühne Bremke
Noch bis zum 27. September werden auf dem idyllischen Areal vier Produktionen gespielt: „Die Schneekönigin“, „Muttersprache Mameloschn“, „Viel Lärm um nichts“ und „Das Jubiläumsstück“, das die Zuschauer auf eine farbenfrohe musikalische Zeitreise durch das 70-jährige Bestehen der Bühne mitnimmt. Der ursprünglich für diese Spielzeit geplante „Zauberer von Oz“ wird coronabedingt erst 2021 aufgeführt. Ich durfte mich während der Proben schon mal ein wenig umsehen und rate euch: Schaut euch unbedingt eines oder mehrere Stücke an.
Geschäftiges Treiben

Einblick: Kostüme und Requisiten im Backstage-Bereich. Foto: Christoph Mischke

Guter Sound: Tontechniker Kevin Stuke in seinem Häuschen. Foto: Christoph Mischke
Heute, an einem sehr warmen Augusttag, sind Kostümproben für „Das Jubiläumsstück“ angesetzt. Hinter der Bühne herrscht geschäftiges Treiben. Kostüme hängen an den Wänden, Requisiten werden positioniert und Tontechniker Kevin Stuke verkabelt die Soundanlage, um dann in seinem kleinen Häuschen auf den Start zu warten. Rosanne Stiller, die das Stück inszeniert hat, trägt lachend eine pinkfarbene E-Gitarre ins Bühnenbild. Ihre Mutter Silvie zeigt mir noch fix den Backstage-Bereich, die teils versteckten Zugänge zur Open-Air-Bühne und den Raum, wo das Ensemble notfalls auch bei Regen proben kann. Nicht optimal, aber besser als nichts. Zwischenzeitlich finden sich auch die Trommeln für das Schlagzeug an. Läuft.
40 Ensemblemitglieder

Pretty in Pink: bunt geht es im Jubiläumsstück zu. Foto: Christoph Mischke
„Ungefähr 120 passive Mitglieder zählt der Verein Waldbühne Bremke derzeit“, berichtet mir Silvie, „plus die rund 40 Ensemble-Mitglieder, die regelmäßig spielen.“ Die meisten davon sind weiblich in allen Altersstufen, wie sie sagt. „Uns mangelt es immer an erwachsenen männlichen Schauspielern“, berichtet sie lachend, „schreib‘ das ruhig. Auch wer sich in diesem sympathischen Team als Bühnenbauer, Schneider oder Tontechniker engagieren möchte, ist jederzeit hochwillkommen, lässt Silvie durchblicken.
Doppelrollen sind häufig

Mützenauswahl: Martha (10) und Heike. Foto: Christoph Mischke
Die zehnjährige Martha wird von ihrem Papa Ben zur Waldbühne begleitet. Seit fünf Jahren spielt sie im Ensemble. Meist sogar Doppelrollen, genau wie es bei den Großen auch vorkommt. „In der Schneekönigin spiele ich die Räubertochter Tuva und die Rose“, erklärt sie mir. Heike, die sich aus bunten Tüchern eben noch ein Hippie-Stirnband geflochten hat, zeigt Martha ein paar Hüte und Mützen für ihre heutige Rolle zur Auswahl. Jeder weiß hier genau, was zu tun ist. Einige Darsteller sind noch im Urlaub, aber dann wird halt kurzerhand etwas umgeplant. Ich finde es bemerkenswert, wie sich die Freizeit-Schauspieler hier engagieren. Ben hat beispielsweise „überhaupt keinen Bock auf die Schauspielerei“, womit wir wieder bei dem schon beschriebenen Mangel wären, aber er übernimmt dann beispielsweise gerne den Dienst als Platzanweiser.
Es duftet nach Wald

Inmitten von Grün: “Protest” auf der Waldbühne. Foto: Christoph Mischke

Freude: Martha (10) spielt seit fünf Jahren mit. Foto: Christoph Mischke
Jedes Mal, wenn ich in der Waldbühne zu Gast bin, freue ich mich über die idyllische Lage des kulturellen Kleinods. Herrlich grün ist es um das weite Halbrund der Zuschauersitzplätze, das einem Amphitheater gleicht. Es duftet nach Wald, die Vögel zwitschern und nur selten dringt während der Proben einmal das Brummen eines Überlandbusses oder der Rasenmäher eines Nachbarn ans Ohr. Von den rund 750 Sitzplätzen dürfen aktuell maximal 250 Plätze besetzt werden, erfahre ich. Die Veranstalter haben in Corona-Zeiten ein ausgefeiltes Wege- und Hygienekonzept erarbeitet, dass allen Besuchern einen unbeschwerten Theaternachmittag oder –abend ermöglicht. „Bei den beiden ausverkauften Gastspielen des Jungen Theaters (JT), die hier im Juli bereits ihre Musikrevue „Wild Thing“ präsentiert haben, hat das wunderbar funktioniert“, berichtet Tom Stiller vom Vorstand der Waldbühne. Das JT ist übrigens am 5. September erneut hier zu Gast.
Live-Gesang

Hurra, hurra, die Schule brennt: Rosanne Stiller am Mikrofon. Foto: Christoph Mischke

Live-Gesang mit Protest-Plakaten: Rick Stiller in Aktion. Foto: Christoph Mischke
Plötzlich ertönt Musik, aus den Lautsprechern, das Playback von „Bruttosozialprodukt“ der NDW-Kapelle „Geier Sturzflug“. Augenscheinlich spielt dieser musikalische Probenteil in den Achtzigern, was auch teilweise an den Kostümen der Darsteller sichtbar wird. „Hurra, hurra, die Schule brennt“ von „Extrabreit“ und „We didn’t start the fire“ von „Billy Joel“ folgen. Der Gesang der Protagonisten ist live und das beeindruckt mich einmal mehr, denn vor mir tanzen und singen schließlich keine ausgebildeten Schauspieler und Sänger. Respekt vor so viel Können, Engagement und Herzblut. Extra für unser Magazin, singt mir das Ensemble dann noch den „Waldbühnensong“, den ich als kleinen Vorgucker mitfilmen darf. Dankeschön dafür.
Von Dorfgemeinschaft erbaut

Mit Lorenbahn: gewaltige Erdmengen mussten beim Bau bewegt werden. Foto: Waldbühne

Zusammenhalt: freiwillige Einsätze der Dorfgemeinschaft. Foto: Waldbühne
Dieser unermüdliche Einsatz für die gemeinsame Sache spielte augenscheinlich schon 1948 eine entscheidende Rolle, wie mir die historischen Fotografien, die auf großen Bannern gezeigt werden, klarmachen. Die gewaltigen Erdbewegungen beim Bau der Waldbühne wurden nämlich in freiwilligen Arbeitseinsätzen von der Bremker Dorfgemeinschaft ausgeführt. Ich erkenne Frauen, Männer und Jugendliche, die mit Kreuzhacke, Schaufel, Spaten und augenscheinlich viel Spaß bei der Sache sind. Für den Abtransport des Aushubs wurde seinerzeit sogar eine Lorenbahn installiert.
Sieben Jahrzehnte Leidenschaft

Das erste Stück: Premiere von “Schneewittchen” am 2. Juli 1949. Foto: Waldbühne

Früher wie heute: traditionell spielen viele Kinder in den Stücken mit. Foto: Waldbühne

Manches ändert sich nicht: gespanntes Warten auf den großen Auftritt. Foto: Waldbühne
Du liebe Güte, denke ich, die fleißigen Menschen waren ja unglaublich schnell, denn am 2. Juli 1949 wurde mit „Schneewittchen“ bereits das erste Stück unterhalb der riesigen Sandsteinfelsen uraufgeführt. Seitdem ist die Waldbühne mit ihren Märchenaufführungen und Konzerten ein Tourismus-Highlight, das weit über den Landkreis Göttingen hinaus erstrahlt. Ehrfurcht ist vielleicht das falsche Wort, aber mit meinem neuen Wissen empfinde ich noch mehr Hochachtung gegenüber den Menschen, die diesen Kulturbetrieb aus der Taufe gehoben und seit sieben Jahrzehnten leidenschaftlich mit Leben füllen.
Mehr als Märchen

Kein Märchen: Aufmerksames Publikum bei “Muttersprache Mameloschn”. Foto: Christoph Mischke

Mutter und Tochter (v.r.): Rick Stiller (Clara) und seine Schwester Rosanne (Rahel). Foto: Mischke

Jeder hilft, wo er kann: Waldbühnen-Vorstand Tom Stiller am Verfolger. Foto: Christoph Mischke
Dabei kann die Waldbühne viel mehr als Märchen. Auf Empfehlung von Tom Stiller bin ich einige Tage nach den Proben erneut in Bremke und schaue mir die Premiere von „Muttersprache Mameloschn“ an. Die erste Kooperation des freien Theaterensembles „Die Kunstbanausen“ mit der Waldbühne Bremke. Einfühlsam, mit viel Humor und Scharfsinn erzählt Marianna Salzmanns Stück von drei Frauen einer Familie und den Generationen deutsch-jüdischer Geschichte, die sie geprägt haben. Das Stück zeigt, wie große Fragen nach Schuld, Verantwortung, Akzeptanz und Verlust in einer kleinen Familie aufgearbeitet werden. Die drei Darsteller Heike Schatz, Rosanne Stiller und Rick Stiller füllen den Abend mit Bravour. Besonders Rick Stiller beeindruckt mich in seiner Frauenrolle als Clara sehr und als seine Schwester Rosanne in der Dämmerung ihren selbst komponierten Titel „The Storm“ singt, ist sie wieder da, die Magie der Waldbühne.
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