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Seit 100 Jahren geht es um die Wurst

4. April 2019
Ich kann mich noch daran erinnern, wie glücklich ich war, wenn ich Ende der Sechziger Jahre meinen Eltern ab und zu eine Bratwurst aus dem Portemonnaie leiern konnte – entweder bei Mall’s Imbiss in der Roten Straße, bei Hoppe-Happen in der Kurzen Straße oder im Bratwurst-Glöckle am Kornmarkt. Das war zu jener Zeit, als sich […]

Ich kann mich noch daran erinnern, wie glücklich ich war, wenn ich Ende der Sechziger Jahre meinen Eltern ab und zu eine Bratwurst aus dem Portemonnaie leiern konnte – entweder bei Mall’s Imbiss in der Roten Straße, bei Hoppe-Happen in der Kurzen Straße oder im Bratwurst-Glöckle am Kornmarkt. Das war zu jener Zeit, als sich noch nicht zahllose Schnellimbisse an jeder Ecke mit ihren blinkenden Reklameschildern zu übertreffen suchten, durchaus etwas Besonderes. Für meine Schwester und mich sowieso, denn unsere Eltern hatten es nicht so dicke. Da war auswärts essen eher selten drin.

Das „Glöckle“ hat überlebt

Führen das Bratwurst-Glöckle seit 2013: Inhaberin Jacqueline Recke und ihr Ehemann Danny. Foto: Christoph Mischke

Wenn es für uns Kids besonders toll lief, dann bekamen wir sogar mal ein halbes Hähnchen bei „Putt vom Grill“ an der Ecke zur Jüdenstraße. Dort, wo heute das Nudelhaus ist. Das war für uns Geschwister dann jedes Mal ein Fest. Alle genannten Imbisse bis auf einen haben etwas Trauriges gemeinsam: Es gibt sie nicht mehr. Nur das Bratwurst-Glöckle hat überlebt. Dem Himmel sei Dank, denn auch heute zieht es mich regelmäßig in die winzige Grillstube, um mir eine „doppelte Curry mit zwei Brötchen“ zu genehmigen. Das sehen augenscheinlich viele Menschen so, denn inzwischen besitzt der Bratwurst-Grill nahezu Kultstatus und feiert im kommenden Jahr seinen 100. Geburtstag. Grund genug, mich mit den heutigen Inhabern Jacqueline und Danny Recke über ihren Betrieb zu unterhalten.

Seit Generationen im Familienbesitz

Galerie der früheren Inhaber (v.l.): August Siemsen, Meta Siemsen, Bodo Stuckenschmidt und Helga Stuckenschmidt. Fotos: privat

„Seit seiner Eröffnung im Jahr 1920 ist das Bratwurst-Glöckle ein unverzichtbarer Teil von Göttingen, wie manche sagen“, berichtet mir Jacqueline Recke. Und ihr Ehemann ergänzt nicht ohne Stolz, dass das Glöcke als einziger Imbiss in den Reiseführern von Göttingen steht und sogar in der Göttingen-App als Geheimtipp zu finden ist. Gegründet wurde der Grill von August Siemsen, der ihn bis 1961, mein Geburtsjahr, führte. Siemsen war mit dem Göttinger Schlachter Robert Sommer befreundet. Als er eines Tages auf die Idee kam, in einem Hausflur am Kornmarkt Grillwürstchen zu verkaufen, lag es nahe, dass sein Freund die Rohware lieferte. Und so ist es auch heute noch. 1961 übergab Siemsen die Leitung an seine Ehefrau Meta. Von Generation zu Generation blieb die Wurstbraterei im Familienbesitz. Auf Meta Siemsen folgte erst Bodo Stuckenschmidt und nach dessen Tod seine Ehefrau Helga. 2013 schließlich übernahm ihre Enkelin Jacqueline Recke den Bratwurst-Grill.

Vor dem Umbau wurde es oft eng

Halt – Schnellimbißhalle – Halt: Eine Aufforderung, der es gar nicht bedurfte. Foto: privat

Treffpunkt: Bereits in den Zwanzigerjahren war der Grill bei den Göttingern beliebt. Foto: privat

Im Zuge der Übernahme sah sich die neue Inhaberin auch gleich mit einem Problem konfrontiert. Der Kult-Grill musste aufgrund von Sicherheitsbestimmungen und Brandschutzauflagen umgebaut werden. Bis zu diesem Zeitpunkt standen der Grill und die futternden Besucher direkt im schmalen Hausflur, den naturgemäß auch die Hausbewohner nutzten. Da wurde es vor allem in der Mittagszeit richtig eng für alle Beteiligten. Auch ich erinnere mich noch gut an den einzigen Zugang, die mitunter etwas schwergängige Schiebetür, durch die es im Winter manchmal ziemlich zog, wenn sie mal wieder jemand beim Gehen nicht richtig geschlossen hatte. Die Gäste machten sich vor allem Sorgen, dass sie ihr gemütliches Ambiente nach dem Umbau nicht mehr vorfinden würden. Dazu gehörte auch die Farbgebung von Wänden und Fliesen in einem Grün-Türkis-Ton, der in den Sechzigerjahren einmal modern war.

Das „Flurgefühl“ wurde bewahrt

Zugang durch die Schiebetür: Das Bratwurst-Glöckle vor dem Umbau 2013. Foto: privat

Zur Mittagszeit oft eng: Blick in die “alte” Grillstube. Foto: privat

Die Sorgen der Gäste waren rückblickend unbegründet, denn Reckes lösten die Aufgaben mit Bravour. „Wir wollten dieses Flurgefühl beim Umbau unbedingt bewahren“, erzählt Danny, und hatte die Idee oberhalb des Tresens ein Fenster zum jetzt dahinterliegenden Treppenhaus einzubauen. Gesagt, getan. Jetzt gibt es zwar getrennte Eingänge für Gäste und Bewohner aber man kann sich immer noch gegenseitig sehen. Das neue Ambiente sollte an alte Zeit erinnern und das tut es auch. Über dem Grill ist wieder ein großer Abzug aus rötlich glänzendem Kupfer installiert worden und die zweistöckige Ablage stellt sicher, dass auch die Kinder von heute im Stehen alleine ihre Wurst essen können. Ein Teil der alten Fliesen konnte zur Freude der Kunden erhalten werden, und wo die originalen Kacheln fehlten, haben die Inhaber neue Steingutplatten mit altem Muster im Digitaldruck ergänzen lassen.

Drei-Gänge-Menü a la Jacqueline

Zufalls-Fund: Jacqueline Recke mit einer Preistafel von 1955. Foto: Christoph Mischke

„Grün war übrigens die Lieblingsfarbe des früheren Inhabers Bodo Stuckenschmidt“, berichtet mir Danny, der darin den Grund der heute etwas antiquiert wirkenden Farbgebung vermutet. Aber das ist es halt, was die Gäste neben der Wurst so lieben. Nach dem Umbau bestanden die Kunden sogar auf den grünen Papierservietten samt den Spendern aus weiß lackiertem Blech. „Allerdings“, so Danny Recke, „waren die Tücher zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr im Handel erhältlich. Also ließen Jacqueline und ich sie eigens produzieren.“ Das nenne ich mal Kundennähe. Auch während der gut dreimonatigen Umbauzeit mussten die Liebhaber nicht auf ihre Wurst verzichten, denn Jacqueline verkaufte ihr „Drei-Gänge-Menü“ (Bratwurst im Brötchen mit Senf) in dieser Phase von einem mobilen Holzkohlerost auf dem Fußweg. Mit der Neueröffnung am 16. September 2013 war die glöckle-lose Zeit dann endlich vorüber.

Hollywoodstar Keanu Reeves isst Krakauer

Freiluftgenuss: Zur Mittagszeit weichen die Gäste nach draußen aus. Foto: Christoph Mischke

Aus aller Welt: Die jungen Damen aus China lieben Brat- und Currywurst. Foto: Christoph Mischke

Zahllose Stammgäste jeglicher Herkunft und aus allen Bevölkerungsschichten treffen im Bratwurst-Glöckle aufeinander. Hier speist der Bauarbeiter in seiner Latzhose neben dem Banker in Anzug und Krawatte. „Das war schon immer so“, sagen die Betreiber, „und das soll auch so bleiben, denn das macht schließlich den Charme aus.“ Eine Dame, die noch für den ersten Inhaber August Siemsen am Grill gearbeitet hat, inzwischen 93 Jahre alt, kommt heute noch regelmäßig auf eine Bratwurst ins „Glöckle“. „Ein gebürtiger Göttinger, der jetzt in Kanada lebt“, erzählt Jacqueline, „kam vor vielen Jahren erstmals wieder in seine Heimatstadt und war überglücklich, dass es die Wurstbraterei am Kornmarkt noch gibt. Auch der eine oder andere Promi hält sich gerne in dem winzigen Gastraum auf. Musikproduzent und Schlagersänger G. G. Anderson isst regelmäßig hier und auch Hollywoodstar Keanu Reeves hat im „Glöckle“ schon eine Krakauer verputzt. „Wir hatten sogar eine große Hochzeitsgesellschaft hier, die nach der Trauung im Alten Rathaus bei uns zu Mittag gegessen hat“, berichtet Jacqueline lachend. Hoffentlich hat sich die Braut nicht ihr schönes Kleid beschmutzt, denke ich noch, da hat Danny Recke schon die passende Geschichte parat.

Senf auf dem Pelzmantel

Aus dem Schutt gerettet: Hinweisschild für Klecker-Künstler. Foto: Christoph Mischke

Natürlich kenne ich das kleine weiße Schild im Gastraum. „Verehrte Kunden! Wir übernehmen keine Haftung für Verschmutzungen und Schäden an ihrer Kleidung, die beim Verzehr entstehen“, ist darauf zu lesen. „Irgendwann in den Siebzigerjahren hatte sich eine Frau ihren Pelzmantel selbst mit Senf bekleckert“, erzählt Danny. Sie bestand aber darauf, dass der damalige Inhaber Bodo Stuckenschmidt ihr die Reinigung bezahlen sollte, was dieser aufgrund ihres eigenen Verschuldens ablehnte. Die Frau beschwerte sich massiv bei verschiedenen Institutionen, so dass der Inhaber, obwohl er es nicht gemusst hätte, schließlich entnervt die Reinigungskosten übernahm. Auf Anraten des Ordnungsamts hat er danach das besagte Schild im Glöckle angebracht. „Das haben wir beim Umbau dann noch aus dem Schutt gerettet“, sagt Danny Recke.

Currywurst ist am beliebtesten

Platz 1 auf der Beliebtheitsskala: Die Currywurst steht hoch im Kurs. Foto: Christoph Mischke

Damals wie heute lautet die Philosophie im Bratwurst-Glöckle: Die Wurst wird ausschließlich über Holzkohle gegrillt, denn nur so kommen die feinen Röstaromen zur Geltung. „Jacqueline beherrscht dieses Handwerk mit Glut und Temperatur in Perfektion, denn es wurde ihr praktisch in die Wiege gelegt“, sagt Ehemann Danny. „Wenn ich das Feuer sehe, weiß ich, ob es richtig ist“, bestätigt seine Frau. Genauso beschränkt wie der Platz im Gastraum ist das Speisenangebot. Es gibt Bratwurst, wahlweise auf der Pappe oder im Brötchen, Bratcurrywurst, auch in der Halbe-Meter-Variante, XXL-Krakauer, Breslauer und Schlesische Bockwurst, Kartoffelsalat und ein paar Softdrinks. „Am beliebtesten ist nach wie vor die Currywurst“, sagt Jacqueline, was wohl auch an der Sauce liegt. Ihre Rezeptur wurde von Generation zu Generation weitergereicht und die Sauce wird jeden Tag von der Chefin höchstpersönlich mit dem Rührbesen nach alter Tradition zubereitet. Sie wurde so stark nachgefragt, dass sie inzwischen sogar in Flaschen abgefüllt und verkauft wird. Viele Göttinger nehmen sie für ihre eigenen Grillabende mit nach Hause oder verschicken die Sauce für ihre Lieben in die ganze Welt.

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Christoph Mischke

Ich bin in "Chöttingen cheboren", so wie es wohl Schorse Szültenbürger in seinen vergnügten Geschichten in Göttinger Mundart geschrieben hätte. Ich hatte immer das Glück in meiner Heimatstadt leben und arbeiten zu können und halte es mit dem Historiker August Ludwig von Schlözer, der sagte: "Extra Gottingam non est vita, si est vita non est ita." (Außerhalb Göttingens kann man nicht leben, wenn aber doch, dann nicht so gut).
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