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Startseite » Kultur & Wissenschaft » Literatur für alle: Auf einen Tee mit Anja Johannsen

Auf einen Tee mit Anja Johannsen: Literatur für alle

7. Oktober 2021
Sie ist Geschäftsführerin des Literarischen Zentrums Göttingen, Jurymitglied für den Deutschen Buchpreis 2021, promovierte Literaturwissenschaftlerin, begeisterte Gastgeberin, Nachtmensch, erlernte Rampensau und seit elf Jahren Göttingerin. Wie Anja Johannsen als Profi liest, wie das neue Literaturhaus aussehen wird und welchen Buchtipp sie für den Herbst gibt, haben wir sie kurz vor der Verleihung des Deutschen Buchpreises gefragt.

Es ist Montagabend, auf den Plätzen in der Halle des Alten Rathauses in Göttingen sitzen vor allem jüngere Menschen. “Das ist eine Besonderheit in Göttingen, um die mich Kolleg*innen aus anderen Städten beneiden. Dort ist es eher unüblich, dass Menschen unter dreißig zu Literaturveranstaltungen gehen”, sagt Anja Johannsen. Sie ist Geschäftsführerin und Programmleiterin des Literarischen Zentrums Göttingen und moderiert heute die Veranstaltung.

Sind Sie lieber hinter oder auf der Bühne, Anja Johannsen?

“Wenn, dann bin ich eine erlernte Rampensau.”

Im Gespräch mit dem Soziologen Aladin El-Mafaalani und der Kulturjournalistin Elke Schmitter geht es um Repräsentanz im Kultur- und Bildungsbetrieb. Ein Thema, das Anja Johannsen in diesem Jahr noch viel mehr betrifft als in ihrem normalen Arbeitsalltag: Als Mitglied der siebenköpfigen Jury entscheidet sie mit darüber, wer am 18. Oktober den Deutschen Buchpreis 2021 auf der Frankfurter Buchmesse verliehen bekommt und die Auszeichnung ‘Deutschsprachiger Roman des Jahres’ tragen darf. Auf der Bühne ist sie souverän, freundlich aber mit kritischem Blick, unterschwellig stichelnd, wenn eine*r der Gäst*innen auf der Bühne sich etwas zu gerne selbst reden hört. Zum grauen Anzug trägt sie orangefarbene Stiefelletten.

Anja Johannsen auf der Dots Bühne im Gespräch mit Sasha Salzmann.

Anja Johannsen auf der Bühne im Gespräch mit Sasha Salzmann.

Foto: Carlotta Verweyen

Ein all time Klassiker - der hausgebackene Karottenkuchen

Anspruch an die Moderation: Alle sollen sich wohl und gut unterhalten fühlen.

Foto: Carlotta Verweyen

Wir treffen uns ein paar Tage später im Birds. Das gemütliche Café im Nikolaiviertel hat sie vorgeschlagen, weil sie hier selbst gerne hingeht. Praktischerweise ist das neue Literaturhaus direkt gegenüber. Es entsteht als Kooperation von Literarischem Zentrum und Göttinger Literaturherbst und soll, wenn alles klappt, Anfang 2022 eröffnet werden.

“Ich bin einfach gerne Gastgeberin”

Ob sie lieber hinter oder auf der Bühne ist, möchte ich wissen. “Mal so mal so”, antwortet sie: “Mittlerweile bin ich auch gerne auf Bühnen, aber ich bin keine geborene Rampensau. Wenn, dann bin ich eine erlernte Rampensau.” Trotzdem macht ihr die Moderation, wie bei der Veranstaltung am Montag, Spaß. “Ich bin einfach gerne Gastgeberin, auch zuhause. Ich sorge dafür, dass die anderen sich wohlfühlen und gut unterhalten werden.” Nicht, dass es zu Missverständnissen kommt: Sie moderiert nicht jede Veranstaltung des Literarischen Zentrums selbst. “Normalerweise bin ich hier häufig die Person, die alle begrüßt. Im Schwabenland, wo ich aufgewachsen bin, war das der Grüß-Gott-August”, sagt sie.

 

Ein all time Klassiker - der hausgebackene Karottenkuchen

Jede Lektüre ist eine potentielle Veranstaltung.

Foto: Carlotta Verweyen

Lesen als Job – wie funktioniert das?

Für Anja Johannsen gibt es kaum noch so etwas wie privates Lesen – und das ist auch völlig in Ordnung für sie: ”Ich kann auch gar nicht anders als beim Lesen zu überlegen, was man da für Veranstaltungen draus machen kann.”

Das Lesen verschiebt sie wegen des zeitintensiven Jobs als Geschäftsführerin und Programmleiterin meist in die Abendstunden: “Ich bin eher ein Nachtmensch. Ich lese erst am Abend, fange um 10 Uhr an und höre um 12 Uhr auf.” Vor allem in diesem Jahr ist das Lesepensum hoch. Für den Deutschen Buchpreis wurden 230 Bücher eingereicht

Der Deutsche Buchpreis 2021

Was es bedeutet, in der Jury zu sitzen

Als wir auf den Buchpreis zu sprechen kommen, erzählt Anja Johannsen vorsichtiger. Schließlich darf sie nichts verraten. Die Nominierung als Jurymitglied für den Deutschen Buchpreis kam per Brief: “Ich habe mich sehr gefreut, das ist eine große Ehre. Ich habe mich aber auch direkt gefragt, wie ich das zusätzlich noch schaffen kann.” Nach einem Telefonat mit der Kulturwissenschaftlerin Hanna Engelmeier, die im Vorjahr in der Jury war, sagt sie zu. “Ich musste irrsinnig viel lesen, aber das beschränkte sich auf die Monate April bis August – dann kam die Shortlist raus.” Ob, und wenn ja welche, Titel sie vorgeschlagen hat, bleibt geheim.

Die Jury des Deutschen Buchpreises 2021 V.l.n.r.: Sandra Kegel, Anja Johannsen, Beate Scherzer, Anne-Catherine Simon, Richard Kämmerlings, Bettina Fischer, Knut Cordsen © vntr.media

Die Jury des Deutschen Buchpreises 2021. V.l.n.r.: Sandra Kegel, Anja Johannsen, Beate Scherzer, Anne-Catherine Simon, Richard Kämmerlings, Bettina Fischer, Knut Cordsen

Foto: vntr.media

Die Jury des Deutschen Buchpreises 2021  V.l.n.r.: Sandra Kegel, Anja Johannsen, Beate Scherzer, Anne-Catherine Simon, Richard Kämmerlings, Bettina Fischer, Knut Cordsen  © vntr.media

Die Shortlist des Deutschen Buchpreises 2021.

Foto: vntr.media

Die Aufmerksamkeit, die auf dem Deutschen Buchpreis liegt, ist für Anja Johannsen auch nach elf Jahren Geschäftsführung eines Literaturhauses aufregend – was sie positiv, aber auch kritisch einordnet. “Es ist ein bisschen unfair, dass ein Preis so viel Aufmerksamkeit bekommt und andere so wenig.” In ihrem eigentlichen Job kann sie eine Bandbreite literarischer Texte gleichwertig nebeneinander vorstellen. Beim Buchpreis muss sie auswählen und bewerten. “Jede Wertung ist auch eine gewisse Anmaßung”, reflektiert sie.

Repräsentanz, Aufmerksamkeit und Anmaßung

An der diesjährigen Juryzusammensetzung gab es Kritik. Sechs von sieben Jury-Mitgliedern sind ungefähr gleich alt und alle Mitglieder sind weiß. In der Veranstaltung am Montag ging es nicht zufällig um Repräsentation. Es sei wichtig, eine Jury wie diese divers zu besetzen, findet Anja Johannsen. “Aber durch einen Rücktritt hätte ich nichts erreicht, das hätte auch kein Zeichen gesetzt – und ich hatte auch echt Lust das zu machen.”

Und was und wen repräsentiert Anja Johannsen in der Jury? “Im Literarischen Zentrum arbeite ich mit einem jungen Team zusammen, dem ich gut zuhöre. Deshalb hoffe ich, dass ich in der Jury einen erweiterten Blickwinkel repräsentieren kann, auch wenn es am Ende eine subjektive Entscheidung ist.”

 

Das Literaturhaus

Göttingens literarische Zukunft

Für das Gespräch hat sie sich extra Zeit in ihrem gut gefüllten Terminkalender freigeschaufelt. Während sie mit orange lackierten Fingernägeln im Pfefferminztee mit Honig rührt, erzählt sie, wie sie sich die Zukunft des Göttinger Literaturbetriebs vorstellt. Das neue Literaturhaus ist ein Herzensprojekt. Hier kommen Literarisches Zentrum und Literaturherbst unter einem Dach zusammen, als Hotspot für Literaturinteressierte.

“Wir arbeiten eng zusammen, bleiben aber eigenständige Institutionen – also eine große WG eigentlich”, sagt Anja Johannsen. Beide Organisationen beziehen ein eigenes Stockwerk. Den Saal nutzt elf Monate im Jahr das Zentrum, während des Festivals steht es dem Literaturherbst zur Verfügung. Im Foyer soll es einen gemeinsamen Lounge-Bereich geben mit Ticketverkauf, Büchertisch und Kaffeemaschine. “Damit wollen wir ein Signal setzen, dass es vor allem ein offenes Haus ist.”

Anja Johannsen im Birds Café mit dem Literaturhaus im Hintergrund.

Interview im Café Birds: Hier geht Anja Johannsen selbst gerne hin – das neue Literaturhaus ist praktischerweise direkt gegenüber.

Foto: Göttingen Tourismus und Marketing / Lakemann

Das Gebäude des Literarischen Zentrums in der Düsteren Straße.

Das Gebäude des Literarischen Zentrums in der Düsteren Straße.

Foto: Göttingen Tourismus und Marketing / Lakemann

Dazu, dass Literatur in Göttingen mitten im Durchschnitt der Gesellschaft stattfindet, trägt auch die Lage bei. Im Nikolaiviertel treffen Kiez und Kunstquartier aufeinander und bilden einen Ort für gute Ideen und innovative Veranstaltungsformate.

Literatur für alle: Fenster auf im Kiez

“Ich verstehe das hier als Miteinander, wir sind KuQua und Nikikiez.” Ein Vorgeschmack war die Veranstaltung “Fenster auf”, bei der eine ganze Straße ein (Kiez-)Fest der Kultur auf die Beine gestellt hat. Das ist nur dank guter Nachbarschaft möglich: “Wir mussten die Technik irgendwo in einem der Wohngebäude gegenüber unterbringen. Da habe ich einfach eine Frau, die gerade herauskam, angesprochen und sie war sofort einverstanden, für zwei Tage Veranstaltungstechnik in ihrem Wohnzimmer unterzubringen”, erzählt Anja Johannsen.

“Kein muffiger Ort allein für das Bildungsbürgertum”

Anja Johannsen spricht überlegt, offen, manchmal lockerer manchmal gewählter, reflektiert sich und ihre Rolle, stellt persönliche Nachfragen. “Meine Liebe zu Göttingen ist nicht at first sight entstanden, sondern langsam gereift”, antwortet sie auf die Frage, was sie an der Stadt besonders schätzt.

Nach Stuttgart, Berlin und Zürich ist sie hier durch den neuen Job als Geschäftsführerin des Literarischen Zentrums gelandet. Nicht nur durch die Familie ist sie mittlerweile eng mit der Stadt verbunden. “Was an der Arbeit hier besonders toll ist, ist, dass das Literaturhaus hier nie diesen Ruf als muffiger Ort allein für das Bildungsbürgertum hatte und auch nicht haben wird.”

Literaturveranstaltungen: Mehr als Lesungen?

“Ich versuche die Begeisterung, die ich für manche Bücher empfinde, weiterzugeben”

“Ich finde, bei Leseveranstaltungen kommt es mehr auf das Gespräch als auf die Lesung selbst an”, sagt Anja Johannsen. Lesen könne man auch zuhause, aber das, was auf der Bühne gesprochen wird, gebe es nur da. Andere Formate findet sie zunehmend spannender als die klassische Lesung. Wie zum Beispiel den Autor*innenkongress ‘boxenstopp’ mit Kurzlesungsfestival (acht Stunden Marathonlesen vor Publikum) und anschließender Diskussion über die Krisen der Gegenwart und das Schreiben.

Anja Johannsen vor dem neuen Literaturhaus.

Anja Johannsen vor dem neuen Literaturhaus. Hier kommen Literarisches Zentrum und Literaturherbst unter einem Dach zusammen.

Foto: Göttingen Tourismus und Marketing / Lakemann

Im Literarischen Zentrum steht Literatur für alle im Programm.

Foto: Göttingen Tourismus und Marketing / Mischke

Bei Publikumsveranstaltungen mag sie es, überraschende Gesprächsformationen zu ermöglichen anstatt klassisch Autor*in und Kritiker*in auf der Bühne zusammenzubringen.

Austausch statt Streitgespräch

“Ich finde es nicht wünschenswert, Streitgespräche zu inszenieren. Dann spielt man Anne Will nach, alle sondern ihre Floskeln ab und gehen dann wieder nach Hause.” Stattdessen geht es ihr darum, verschiedenen Perspektiven aufzuzeigen, was nicht unbedingt mit unterschiedlichen Haltungen einhergehen muss. “Ich lade Leute ein nicht damit sie sich fetzen, sondern weil ich hoffe, dass sie füreinander interessant sind und deshalb auch für das Publikum. Dann springt etwas über.”

Karriere und Familie

Zwischen Germanistikstudium und Verlagspraktika

Anja Johannsen hat Germanistik und Philosophie studiert: “Ich dachte, wenn ich Glück habe, lande ich in einem Verlag.” Während der Promotion und später der Arbeit an der Habilitation hat eine wissenschaftliche Karriere ihre Verlockungen. Sie macht viele Verlagspraktika, bis eine Freundin ihr rät: “Mach’ nicht das hundertste unbezahlte Praktikum, du bist längst über dreißig.” Daraufhin fängt sie im Literaturhaus in Zürich an. Dort lernt sie auch ihren Mann kennen, einen Schweizer Literaten, Lyriker und Performer. Er arbeitet auch heute noch in der Schweiz und ist viel auf Literaturveranstaltungen unterwegs. Gemeinsam haben sie zwei Söhne. “Ich hätte auch gerne weiter Literaturwissenschaft gemacht, aber als der Job am Literarischen Zentrum kam, habe ich doch mit Freuden abgebrochen.”, sagt sie.

Familie und ein 130 Prozent Job

“40 Stunden verbringe ich im Büro, aber da war ich noch bei keiner Abendveranstaltung und habe noch kein Buch gelesen”, so beschreibt Anja Johannsen ihren Arbeitsalltag. Sie weiß die Vorteile des Jobs zu schätzen. Relativ freie Zeiteinteilung macht es ihr möglich, für ihre Mitarbeiter*innen und vor allem die beiden Söhne da zu sein.

“Als Babys habe ich sie auch häufig zu Lesungen mitgenommen”, erzählt sie. “Es geht wirklich nur, wenn man zu zweit ist und der oder die andere Familienarbeit übernimmt. Klassische Rollenverteilung plus 130 Prozent Job funktioniert nicht – und wenn ich nicht voll arbeiten würde, könnte ich keine Leitungsfunktion haben.”

 

Buchtipp

Was ihr im Herbst lesen solltet

Auf die Frage nach einem Buchtipp für den Herbst muss sie lachen. “Das ist wirklich schwierig.” Sie empfiehlt ‘Heimkehren’ von Yaa Gyasi, die im September im Literarischen Zentrum zu Gast war. “Was ich außerdem immer gerne empfehle ist die Autorin Rachel Cusk. Man erfährt nichts über die Erzählerin, sondern nur etwas aus den Gesprächen, die sie mit anderen führt. Diese uneitle Art der Subjektivität gefällt mir.” Die Trilogie von Cusk enthält die Titel Outline, In Transit und Kudos.

Foto: Carlotta Verweyen

Zum Abschluss des Gesprächs darf ich noch einen Blick in das Literaturhaus werfen – beziehungsweise in die Baustelle, die hier im Moment die Möglichkeiten des Gebäudes nur erahnen lässt. Auf der Suche nach einem passenden Hintergrund für Bildmaterial schlägt sie vor: “Wir können auch ein bisschen Quatsch machen”, – und schwingt sich kurzerhand auf den Rand eines orangefarbenen Bauschuttcontainers. “Meine Schuhe passen dazu”, sagt sie lachend.

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