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Authentische Zeitreise: Museum am Thie

20. Februar 2020
Als gebürtiger Göttinger bin ich meiner Heimatstadt immer treu geblieben. Es gab auch einfach keinen Grund, warum ich diese schöne Stadt hätte verlassen sollen. Die meisten Jahre meines Lebens habe ich in Geismar verbracht oder „ganz dichte bei“. Für mich Grund genug, ein wenig in die volkskundliche Geschichte dieses ehemaligen Stadtdorfes einzutauchen, das, ebenso wie […]

Als gebürtiger Göttinger bin ich meiner Heimatstadt immer treu geblieben. Es gab auch einfach keinen Grund, warum ich diese schöne Stadt hätte verlassen sollen. Die meisten Jahre meines Lebens habe ich in Geismar verbracht oder „ganz dichte bei“. Für mich Grund genug, ein wenig in die volkskundliche Geschichte dieses ehemaligen Stadtdorfes einzutauchen, das, ebenso wie Grone und Weende, 1964 eingemeindet wurde. Mitten im Geismarer Altdorf, neben der Kirche St.Martin, gibt es das kleine, feine Museum am Thie, das zu einer spannenden Reise in die Vergangenheit einlädt. Ich habe mich für euch dort einmal umgesehen.

Geschichtliches Kleinod

Mitten im Geismarer Altdorf gelegen: das Museum am Thie. Foto: Christoph Mischke

Vera Lenz nimmt mich an einem Donnerstagnachmittag in Empfang. Sie ist die 1. Vorsitzende im Volkskundlichen Arbeitskreis Geismar Museum am Thie e.V., der das Museum ehrenamtlich betreut. Auch ihr Ehemann Friedrich Lenz, Karl-Heinz Eckertz und Friedhelm Helling aus dem Arbeitskreis sind vor Ort. Nicht etwa meinetwegen, sondern weil es in diesem geschichtlichen Kleinod immer etwas zu tun gibt. Mit den Anwesenden habe ich aber, bis auf einige wenige, schon das gesamte Team kennengelernt. „Tja“, sagt Vera Lenz, „ genau das ist unser Problem. Wir wünschten uns ein paar zusätzliche Mitstreiter. Dann könnten wir hier mehr bewegen und vor allem häufiger öffnen.“ Derzeit können Besucher das Museum an jedem ersten Sonntag im Monat von 10.30 bis 12.30 Uhr, sowie donnerstags von 16 bis 18.30 Uhr besichtigen. Allerdings sind auch Gruppenführungen außerhalb dieser Zeiten nach telefonischer Absprache unter 0551/794944 möglich. „Einer von uns kann fast immer“, versichert Friedrich Lenz lächelnd.

Kohlhobel und Zichorienbrenner

Die Macher (v.l.): Friedhelm Helling, Karl-Heinz Eckertz, Vera und Friedrich Lenz. Foto: Mischke

Liebevoll und authentisch eingerichtet: die dörfliche Küche. Foto: Christoph Mischke

Zucker, Gries und Brösel: Aufbewahrungsgefäße aus Porzellan. Foto: Christoph Mischke

Während sich die Herren um die kleine Sonderausstellung „Vom Kienspan zur LED“, die derzeit im Empfangsraum gezeigt wird, kümmern, beginnt Frau Lenz die Führung mit mir im Nachbarraum. Hier ist eine dörfliche Küche eingerichtet, wie sie im 18./19. Jahrhundert üblich war – mit rustikalem Holztisch, ebensolchen Stühlen und vielen Dingen, die ich mir erklären lassen muss. Den „Kaffee-Röster“ beispielsweise, der auf dem Kohleherd steht. „Bohnenkaffee kannte man auf dem Land allerdings nur vom Hörensagen“, erklärt mir Frau Lenz, „hier wurde der Kaffee-Ersatz meist aus Roggen und den gebrannten Wurzeln der Zichorie hergestellt.“

Relikt aus alten Tagen: eine Butterknetmaschine. Foto: Christoph Mischke

Ein echt aufwändiges Verfahren, von der Ernte, über das Putzen, Schnippeln und Trocknen sowie das Rösten im Herbst, zu dem eigens der Zichorienbrenner ins Haus kam. Auch die Herstellung von Butter und Sauerkraut kann mir die 1. Vorsitzende anschaulich verdeutlichen. Dinge, die ich gerne esse und heute völlig selbstverständlich einkaufe, aber über deren Herstellung in früheren Jahren ich noch nie einen Gedanken verloren habe. Angesichts der alten Gerätschaften, wie der Butter-Knetmaschine oder dem Kohlhobel, nötigt mir dieser Aufwand höchsten Respekt ab.

Kragen, Manschetten und „Cravatten“

Spartanisch und fern vom heutigen Standard: Schlaf- und Waschgelegenheit. Foto: Mischke

Kunstvoll verziert: Früher bewahrte man Kragen…

…und “Cravatten” in entsprechend bestickten Schachteln auf. Fotos: Christoph Mischke

Im Nachbarraum ist ein Schlafzimmer eingerichtet, ganz so, wie es seinerzeit üblich war. Das Bett aus dunklem Holz ist nicht besonders breit und doch, so erzählt es Frau Lenz, diente es nicht nur dem Ehepaar, sondern mitunter auch den Kindern als gemeinsame Schlafstatt. „Eine Matratze gab es damals noch nicht“, sagt Lenz, „die Menschen schliefen auf einer Unterlage aus Stroh, über die das Laken gebreitet wurde.“ Wasserkrug und Emailleschüsseln deuten auf die spartanische Waschgelegenheit hin. Von fließend Wasser aus dem Hahn konnte damals noch nicht die Rede sein, das Wasser musste mit Eimern und einem Tragejoch vom Brunnen oder der Tränke geholt werden. Wie einfach und bequem wir es doch heute haben, denke ich.

Mit Struwwelpeter-Motiven: besticktes Baumwoll-Kleidchen. Foto: Christoph Mischke

Besonders fasziniert mich die teils kunstvoll bestickte Baumwollwäsche die in dem großen Bauernschrank liegt. Besonders das weiße Baumwoll-Kleidchen, das mit Szenen aus dem Struwwelpeter von Hand bestickt ist. Kleine, hübsch verzierte Papp-Schachteln dienten unseren Vorfahren als Behältnisse für Kragen, Manschetten und „Cravatten“. Auch ein echter „Chapeau Claque“, ein faltbarer Zylinder, liegt auf der Anrichte. Ich erinnere mich, dass ich so einen auch noch irgendwo habe. Nach der Besichtigung der „guten Stube“, dem ebenso liebevoll wie authentisch gestalteten Wohnzimmer, führt mich Frau Lenz in die erste Etage.

Italienische Walnuss aus dem Pinsel

Im Treppenhaus fallen mir zahlreiche kleine Tafeln auf, die verschiedene Holzarten mit unterschiedlichen Maserungen zeigen. Ich liege aber völlig falsch, wie mir die Expertin erklärt. Hier wird eine uralte Tradition des Malerhandwerks gezeigt, die Maserie-Technik und ihre Werkzeuge. Weil echtes Holz für die Wandverkleidung oder für Möbel viel zu teuer war, verlegten sich kundige Maler auf das Imitieren von edlen Hölzern wie antike Eiche, Vogelaugen-Ahorn oder italienische Walnuss. „Abgefahren“, sage ich, und entdecke auch bei näherem Hinsehen fast keinen Unterschied.

Vom Flachs zum Leinen

Vom Flachs zum Leinen: Textilienherstellung unserer Vorfahren. Foto: Christoph Mischke

Buntes Fadengewirr: Hier wurden früher Schmuckbänder gewebt.

Mehrfachnutzung: Schwarz als Farbe für Hochzeiten und Trauerfälle. Foto: Christoph Mischke

Raum fünf widmet sich ganz der Textilherstellung in früheren Jahren. „Vom Flachs zum Leinen“ zeigt eindrucksvoll den langen und mühsamen Weg von der Pflanze auf dem Acker bis zum fertig gewebten Kleidungsstück. Alles von der Pflanze wurde verwendet, auch der bei der Ernte gewonnene Leinsamen. Er wurde in der damaligen Stegemühle zu Leinöl verarbeitet. Besonders beeindruckt hat mich der Posamentierwebstuhl, der, auch in Museen, nur noch ganz selten anzutreffen ist. Auf diesen komplizierten Webstühlen wurden vorwiegend mit phantasievollen Mustern verzierte Schmuckbänder hergestellt. Leider funktioniert er nicht mehr, ist aber auch so spannend anzuschauen.

Der „Jauche-König“ von Geismar

Patentiert: Paul Plath entwickelte diesen “Gülle-Pflug”. Foto: Christoph Mischke

Auf unserem Weg durchs Treppenhaus entdecke ich ein kleines, einachsiges Wägelchen mit einem Handgriff. „Kennen Sie Jauche-Plath nicht“, fragt Frau Lenz ungläubig. Ich verneine. Nie gehört. Dann berichtet sie, dass die Plath-Jauche-Gesellschaft das erste Industrieunternehmen in Geismar gewesen ist. 1920 gegründet hatte Paul Plath den Wert der Jauche als Düngemittel erkannt. Wohlgemerkt, der Kunstdünger war noch nicht erfunden. Der pfiffige „Jauche-König“ entwickelte Geräte und Maschinen, mit deren Hilfe die Gülle gesammelt und auf den Äckern verteilt werden konnte. Schläuche waren an den Pflugscharen integriert, so dass die Flüssigkeit gleichmäßig in den Boden eingearbeitet wurde, anstatt sie nur auf der Oberfläche zu verteilen. Plath ließ sich seine Erfindungen patentieren. Die Fabrik, die zeitweise 40 Mitarbeiter beschäftigte, befand sich am Mühlenweg, der heutigen Kiesseestraße. Da bekommt der Begriff „aus Sch___e Gold machen“ ja einen wahren Hintergrund, denke ich, und muss lachen.

Es lebe der Fortschritt

Honig und Wachs: Gerätschaften aus den Anfängen der Imkerei. Foto: Christoph Mischke

Viele Facetten: Zahllose Exponate zeigen das frühe Handwerk. Foto: Christoph Mischke

Die folgenden Räume zeigen das dörfliche Handwerk in all seinen Facetten, auch die Gewerke, die von der damaligen Stadtverwaltung genehmigt waren, wie Rademacher, Mollenhauer und Sargtischler. Andere durften erst nach Abschaffung der städtischen Zunftprivilegien ausgeübt werden. In der Sattlerei werden neben Sätteln auch diverse Arten von Zuggeschirren gezeigt, nicht nur für Pferde. Denn diese zogen überwiegend mit der Brust, während Kühe die Last auf die Schulter und Ochsen auf die Stirn oder den Nacken verteilt bekamen. Auch die Imkerei hat hier ihren eigenen Raum. Erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts, mit Erfindung der beweglichen Waben, wurde sie zu einer biologisch und wirtschaftlich sinnvollen Bienenhaltung und -zucht. Davor war die Honig- und Wachsgewinnung nur durch Raubbau an den Bienen möglich. Die Völker wurden vernichtet, um an ihre Schätze zu gelangen. Es lebe der Fortschritt.

Schuhmacherwerkstatt und dörflicher Laden

Leder und Leisten: Vera Lenz in der authentischen Schuhmacherwerkstatt. Foto: Mischke

Bezaubernd: der stilecht eingerichtete dörfliche Laden. Foto: Christoph Mischke

In der Tischlerwerkstatt kann ich wunderbar nacherleben, wie das Handwerk noch in der ureigensten Form, ohne Maschinen, funktioniert haben muss. Die ausgestellte Schuhmacherwerkstatt sieht aus, als habe der Schuster sie eben nur kurz zur Mittagspause verlassen. Sie stammt aus Bremke, ist komplett erhalten und besticht durch zahlreiche Spezialwerkzeuge. Teils vom Meister Heinrich Jahns selbst entwickelt, um im beginnenden Industriezeitalter konkurrenzfähig zu bleiben. Wunderschön ist der dörfliche Kaufmannsladen gestaltet, der einen eigenen kleinen Raum füllt. Geräte, Waren und Werbeschilder sind so liebevoll zusammengestellt, dass man jeden Moment den Dorfkrämer hinter dem Verkaufstresen erwartet. Nach zwei prall gefüllten Stunden mit originalen Exponaten und kurzweiligen Geschichten endet hier meine Exkursion durch das Museum am Thie. Ich hatte großes Vergnügen, aber nicht nur ich. Während meines Rundgangs mit Frau Lenz haben sich meine Lebensgefährtin und mein Sohn die Ausstellung von Karl-Heinz Eckertz kindgerecht zeigen lassen – vor allem die technischen Gerätschaften. Hannes ist begeistert und will in seiner Schule über das Museum berichten. „Das sollten sich alle meine Klassenkameraden mal anschauen“, sagt er am Schluss.

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Christoph Mischke

Ich bin in "Chöttingen cheboren", so wie es wohl Schorse Szültenbürger in seinen vergnügten Geschichten in Göttinger Mundart geschrieben hätte. Ich hatte immer das Glück in meiner Heimatstadt leben und arbeiten zu können und halte es mit dem Historiker August Ludwig von Schlözer, der sagte: "Extra Gottingam non est vita, si est vita non est ita." (Außerhalb Göttingens kann man nicht leben, wenn aber doch, dann nicht so gut).
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