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Die Türmer von St. Johannis in Göttingen

14. Januar 2021
Einige wenige gibt es noch in Deutschland, wenn auch ihre ursprüngliche Aufgabe inzwischen als obsolet betrachtet werden kann: die Türmer. Auf Burgen und Kirchtürmen versehen sie heute häufig ihren Dienst zur Freude der Besucher*innen zu touristischen Zwecken. So ist das auch in Göttingen, zumindest zeitweise, denn die ursprüngliche Türmerwohnung von St. Johannis ereilte im Jahr […]

Einige wenige gibt es noch in Deutschland, wenn auch ihre ursprüngliche Aufgabe inzwischen als obsolet betrachtet werden kann: die Türmer. Auf Burgen und Kirchtürmen versehen sie heute häufig ihren Dienst zur Freude der Besucher*innen zu touristischen Zwecken. So ist das auch in Göttingen, zumindest zeitweise, denn die ursprüngliche Türmerwohnung von St. Johannis ereilte im Jahr 2005 ein trauriges Schicksal.

Der Nordturm von St. Johannis war der Wachturm

Weithin sichtbar: die Doppeltürme von St. Johannis.

1393 wurde in Göttingen erstmals ein Turmwächter von der Stadt ernannt. Kurz nachdem Anfang des 14. Jahrhunderts die Türme und das Glockenhaus an der Westseite der Kirche aufgesetzt wurden. Der Südturm zeigte mit seiner Uhr „die Zeit der Stadt“ an.  Er ist ein Glockenturm mit zwei Glocken. Die Stundenglocke in der Tonhöhe fis stammt aus dem Jahr 1389, die Viertelstundenglocke in der Tonhöhe a ist von 1819. Der Nordturm war der Wachturm auf dem der Türmer seinen Dienst versah. Er hatte die Aufgabe, die Bürger*innen vor möglichen Gefahren zu warnen. Dazu gehörten herannahende Truppen und Banden, aber auch Brände, die wegen der Enge der Städte, der weit verbreiteten Holzbauweise und des lange als Brennmaterial verwendeten Torfs, dessen Asche relativ lange nachglüht, sehr gefährlich waren.

Franz Kerl, Göttingens letzter Türmer

Imposant in Schwarz-weiß:  Die Türme sind 62 und 56,5 Meter hoch.

Zur Warnung der Bürger nutzten die Türmer ein Wächterhorn, eine Glocke, Signalflaggen oder bei Dunkelheit auch Lampen. Das Göttinger Türmerfernrohr und die -trompete könnt ihr heute im Städtischen Museum besichtigen, wenn es wieder öffnet. Es war durchaus üblich, dass Türmer auch im Turm wohnten. Bestand erhöhte Brandgefahr mussten sie auch ununterbrochen oben auf dem Turm verweilen, zum Teil über viele Wochen. Eine weitere Aufgabe des Türmers konnte zudem das stündliche Schlagen einer Glocke zur Zeitangabe sein. Als Franz Kerl, Göttingens letzter Türmer, 1921 seinen Dienst quittierte, konnte die Stadt auf fast 530 Jahre dieser Dienstleistung, die im Mittelalter als „ehrlos“ und damit als unehrlicher Beruf bezeichnet wurde, zurückblicken. Die Türmerwohnung allerdings blieb Göttingen erhalten und erlebte in den Folgejahren eine wechselvolle Geschichte.

Türmerwohnung: Auf 17 Quadratmetern 65 Meter über Göttingen

Massiv: Die Türme ruhen auf dem zweigeschossigen Westwerk.

Von 1921 an übernahmen Studenten den Raum (und ja, es waren wirklich nur Männer): 17 Quadratmeter groß, rund 60 Meter über dem Göttinger Straßenpflaster. 80 Jahre lang war die Türmerwohnung im Nordturm von St. Johannis die höchste Studentenbude Deutschlands. Nach den Turmwächtern zogen zunächst die Burschenschaftler der „Deutsch-Akademischen Gilde“ ein, später die Mitglieder der „Hochschulgilde Niblung“, bevor 1937 die SS die Türmerwohnung für sich entdeckte und die Burschis zum Auszug nötigte. Nach dem Krieg kehrten die Studentenverbindungen nicht zurück in den Johanniskirchturm. In den folgenden Jahrzehnten stellten unter anderem die Jugendbewegung „Akademische Freischar“ und Stipendiaten des evangelischen Studienwerks Villigst die Bewohner.

Gedicht: Türmers Abschied

Der Aufstieg ist nicht ohne: 238 Stufen sind bis zur Turmspitze zu bewältigen.

Einer der frühen Bewohner dichtete ein Abschiedsgesuch des Türmers an den Bürgermeister –„ in nicht ganz einwandfreiem Göttinger Platt“, wie der Göttinger Gästeführer Klaus Magnus berichtet, der mit diesem kleinen Gedicht den Anstoß zu meiner Geschichte gab. Vielen Dank dafür.

Herr Bürgermeister, ick kann dat nu nich mehr!
Dat Treppensteigen ward mir gar tau sweer!
Ick hawe den Husten
und dat bangige Pusten.
Und dissen Sturm,
der up’n Turm,
holl’n meine Lungen nich mehr ut.
Ick und min Fru, wi treckt nu rut!

Doch nicht nur durch die Lage und die Geschichte wurde das Wohnen in der Türmerwohnung zu etwas Besonderem: Die Studierenden haben mietfrei gewohnt. Als Gegenleistung mussten sie immer samstags ihre Wohnung für Besucher*innen und Tourist*innen öffnen. Jeweils die Hälfte der Eintrittsgelder ging dabei an die Bewohner*innen.

Freier Eintritt für zehn Liter Wasser

Brandreste: Teile des verkohlten Nordturms im Treppenhaus.

„Wohnen mit Einnahmen“ hat Jürgen Barz die damalige Situation genannt. Zusammen mit seinem Mitbewohner war er 2001 der letzte Student, der in der Türmerwohnung lebte. Kristin Fricke vom Blog der Universität Göttingen hat sich mit ihm unterhalten: Als lästig habe er die samstäglichen Besuche aber nicht empfunden: „Es hat immer Spaß gemacht, mit Leuten in Kontakt zu sein. Man hat viele nette Gespräche geführt, auch mit internationalen Besuchern.“ Turmbesucher*innen, die den Studenten einen der Zehn-Liter-Wasserkanister den Turm hochgetragen haben, erhielten freien Eintritt, denn bis zum Ende der Nutzung als Studiwohnung gab es auf dem Kirchturm kein fließendes Wasser. Für Toilettengänge und Duschbäder mussten die Studierenden ins Gemeindehaus gegenüber der Kirche – 238 Stufen pro Strecke. Respekt.

Sanierung dringend erforderlich

Hat ausgedient: Die Wetterfahne der ehemaligen Turmbekrönung.

Als sich 2001 herausstellte, dass die Sanierung des Turmes ein nahezu vollständiges Austauschen der Tragbalken der Türmerwohnung erforderte, mussten die Bewohner ausziehen. Eine erneute Vermietung nach Ende der Sanierung war aufgrund fehlender Rettungswege, die von der Bauordnung zwingend vorgeschrieben sind, nicht mehr möglich. Nach Auskunft der letzten Bewohner wurde während der Sanierung zahlreiche Schnitzereien des letzten Türmers Franz Kerl gefunden, die er, bei einer früheren Restaurierung des Turms 1906, an versteckten Stellen in die Eichenbalken geritzt hatte. Doch kurz vor Abschluss der 7,3 Millionen Euro teuren Sanierungsarbeiten sollte es anders kommen als geplant. Ausgerechnet ein Ereignis, vor dem die Türmer in grauer Vorzeit die Stadt zu verschonen suchten, wurde der Spitze des Nordturms zum Verhängnis.

Brand zerstört den Nordturm von St. Johannis

Verheerendes Feuer: Am 23. Januar 2005 brannte der Nordturm. Foto: Magnus Mertens

In der Nacht zum 23. Januar 2005 wurde der Turm mit seiner historischen Bausubstanz durch ein verheerendes Feuer zerstört. Zunächst drohte die Turmspitze einzustürzen; eine etwa 500 Kilogramm schwere Kupferkugel, die an der Spitze des Turms angebracht war, musste mit Spezialkränen entfernt werden. Einen Tag nach dem Brand nahm die Polizei zwei mutmaßliche Brandstifter fest, Jugendliche im Alter von 19 und 15 Jahren, die ein Geständnis ablegten. Sie waren über das Baugerüst, das für die Sanierung installiert worden war, auf den Turm gelangt. Die Wiederaufbauarbeiten gingen schnell vonstatten und waren bereits im Februar 2006 abgeschlossen.

Kapelle, Aussicht und Turmbläser in der ehemaligen Türmerwohnung

Mit Aussicht: Die Göttinger Stadtpfeifer spielen sich in der Kapelle warm.

Lohn des Aufstiegs: Vom Nordturm bietet sich ein grandioser Panoramablick.

Seitdem wird die ehemalige Türmerwohnung nicht mehr als Wohnstatt, sondern als Kapelle genutzt. Ein zauberhaftes Relikt ist sie dennoch geblieben. Sobald es wieder möglich ist, solltet ihr unbedingt den Weg nach oben wagen, schon allein des buchstäblich atemberaubenden, hölzernen Aufstiegs und vor allem der grandiosen Aussicht wegen. Wer unter Höhenangst leidet, kann trotzdem den Zauber des Nordturms genießen. An jedem Samstag um 11 Uhr lassen Marten Bock und die Göttinger Stadtpfeifer  hoch über den Dächern der Stadt ihre Instrumente erschallen – und das schon seit 27 Jahren.

Foto- & Videocredits
Falls keine weiteren Hinweise angegeben sind, gilt folgender Fotohinweis: Göttingen Tourismus und Marketing / Mischke.

Christoph Mischke

Ich bin in "Chöttingen cheboren", so wie es wohl Schorse Szültenbürger in seinen vergnügten Geschichten in Göttinger Mundart geschrieben hätte. Ich hatte immer das Glück in meiner Heimatstadt leben und arbeiten zu können und halte es mit dem Historiker August Ludwig von Schlözer, der sagte: "Extra Gottingam non est vita, si est vita non est ita." (Außerhalb Göttingens kann man nicht leben, wenn aber doch, dann nicht so gut).
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