Unsere Themen

9

Made in Göttingen

9

Göttingen genießen

9

Um Göttingen herum

9

Einkaufserlebnisse

9

Sport & Freizeit

9

Kultur & Wissenschaft

Unser Newsletter

Deine Anmeldung konnte nicht gespeichert werden. Bitte versuche es erneut.
Deine Anmeldung war erfolgreich.

Wir verwenden Sendinblue als unsere Marketing-Plattform. Wenn du das Formular ausfüllst und absendest, bestätigst du, dass die von dir angegebenen Informationen an Sendinblue zur Bearbeitung gemäß den Nutzungsbedingungen übertragen werden.

Services

9

Stadtführung buchen

Präsentiert von

Startseite » Made in Göttingen » Seit 1903 aktiv: die Göttinger Erdbebenwarte

Seit 1903 aktiv: die Göttinger Erdbebenwarte

15. September 2022
Göttingen, die Stadt die Wissen schafft, gilt schon seit rund zwei Jahrhunderten als ein Zentrum der Messtechnik. Eine für unsere Breiten ganz und gar untypische Messstation befindet sich hoch oben auf dem Hainberg im Göttinger Wald: die Wiechert’sche Erdbebenwarte. 1903 in Betrieb genommen, ist sie die älteste aktive seismische Messeinrichtung der Welt. In diesem Jahr feiert der Verein Wiechert’sche Erdbebenwarte Göttingen 15+2 Jahre seines Bestehens und den 100. Geburtstag der Deutschen Geophysikalischen Gesellschaft.

Göttingen gilt schon seit rund zwei Jahrhunderten als ein Zentrum der Messtechnik. Zahlreiche Traditionsunternehmen wie Sartorius, Mahr, Zeiss, Lambrecht Meteo, Excelitas oder Adolf Thies wirken hier mit höchstmöglicher Präzision. Eine für unsere Breiten ganz und gar untypische Messtation befindet sich hoch oben auf dem Hainberg: die Wiechert’sche Erdbebenwarte. Der Geophysiker Emil Wiechert forschte im Göttinger Wald seit 1901 auf den Gebieten der Seismik, des Erdmagnetismus, der Luftelektrizität und der Meteorologie. Wir haben die Station für euch besucht.

Voll funktionsfähige Messinstrumente

Verein hat Abriss verhindert

Studierende der Shiley-Marcos School of Engineering, die aus dem kalifornischen San Diego zu Gast sind, lauschen den Worten von Wolfgang Brunk im Vortragsraum der neuen Erdbebenwarte. Brunk ist erster Vorsitzender des Vereins Wiechert’sche Erdbebenwarte Göttingen e.V., der die Station betreibt. Die Mitglieder des 2005 gegründeten Vereins haben seinerzeit verhindert, dass das gesamte Areal mit seinen historischen Gebäuden und den voll funktionsfähigen Messinstrumenten abgerissen und verschrottet wird.

Wiechert'sche Erdbebenwarte

Aufmerksam: Studenten aus San Diego besuchen die Erdbebenwarte.

Foto: Göttingen Tourismus & Marketing / Mischke

Wiechert'sche Erdbebenwarte

Faszinierend: Erdbeben setzen ungeheure Energie frei.

Foto: Göttingen Tourismus & Marketing / Mischke

Seitdem stellen die engagierten Vereinsmitglieder nicht nur den wissenschaftlichen Betrieb der Station sicher, sondern begeistern vor allem junge Menschen für die Technik. Ausschließlich durch Spendengelder finanziert, machen sie Physik anschaulich und vor allem erlebbar.

Ring of fire

Auf Englisch stellt Brunk den jungen Ingenieurstudent*innen die Geschichte und Funktion der historischen Stätte vor. Für den modernen Breitbandseismographen der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, der seit 2005 hier ebenfalls Erderschütterungen registriert, hat er nicht viel übrig: „Das ist doch nur ein kleiner weißer Kasten in der Ecke.“ In Filmen und anschaulichen Experimenten verdeutlicht er die Entstehung und Wirkung von Erdbeben.

Wiechert'sche Erdbebenwarte

Digitale Darstellung: Erdstöße auf dem Monitor.

Foto: Göttingen Tourismus & Marketing / Mischke

Eine Weltkarte zeigt die Gebiete, die am meisten von einem Beben gefährdet sind. Sie alle liegen am sogenannten „ring of fire“, dem größten zusammenhängenden Vulkangürtel der Erde. Auch San Diego liegt auf diesem Gürtel, was die jungen Menschen aber nicht weiter beunruhigt. Subduktion ist das Schlüsselwort, das Untereinanderschieben der Erdplatten. „Manchmal hakt es dann“, sagt Brunk, „und die im Lauf von Jahrzehnten unter hoher Spannung heruntergedrückte Platte federt in Sekunden in ihre Ausgangslage zurück.“ Die Erde bebt.

Wiechert'sche Erdbebenwarte

Laut: Wolfgang Brunk demonstriert den Klang eines Erdbebens.

Foto: Göttingen Tourismus & Marketing / Mischke

Jetzt wird es laut

Ein solches Beben setzt ungeheure Energie frei, weiß der Experte. „Das Sumatra-Andaman-Beben vom 26. Dezember 2004 hat in 30 Minuten so viel Energie erzeugt wie alle weltweiten Energielieferanten in den vergangenen 100 Jahren.“ Die Student*innen staunen, denn das ist ebenso faszinierend wie beängstigend. Brunk setzt noch einen drauf und demonstriert den Klang eines Erdbebens. „Es wird jetzt laut“, sagt er. „Sehr laut, denn sonst könnte ich euch ja nicht beeindrucken“, schiebt er mit einem Lächeln nach. Die Mienen der Studenten schwanken zwischen gespannter Erwartung und ängstlicher Neugier.

Brunk spielt die Tonaufnahmen eines Bebens an, in 200-facher Komprimierung. Ein dumpfes Grollen erfüllt den gesamten Raum, die Quelle ist nicht zu lokalisieren, aber die Erschütterungen sind beinahe zu spüren. Einige halten sich die Ohren zu, denn der 400-Watt-Subwoofer unter dem Tisch leistet ganze Arbeit. Auch wenn das Dröhnen nur aus der Konserve kommt, ist es schon etwas unheimlich.

 

Stahlkugel statt Dynamit

Seismische Wellen im Göttinger Wald

Wolfgang Brunk unternimmt mit der Gruppe einen kurzen Waldspaziergang zum Fallturm der Mintrop-Kugel. Vier Tonnen schwer, liegt die Stahlkugel auf dem Waldboden, genauer gesagt steckt sie, nur zur Hälfte sichtbar, im Waldboden. Gespannt und amüsiert verfolgen die Studierenden die Geschichten, die Brunk über Ludger Mintrop, einen Schüler von Emil Wiechert, zu berichten weiß.

Wiechert'sche Erdbebenwarte

Beeindruckend: Die vier Tonnen schwere Mintrop-Kugel.

Foto: Göttingen Tourismus und Marketing / Mischke

Wiechert'sche Erdbebenwarte

Spannung: Der Stahl-Koloss in 15 Metern Höhe.

Foto: Göttingen Tourismus und Marketing / Mischke

Wiechert'sche Erdbebenwarte

Rumms: Die Mintrop-Kugel schlägt auf dem Waldboden ein.

Foto: Göttingen Tourismus und Marketing / Mischke

Er erzählt von dessen ersten Versuchen im Göttinger Wald seismische Wellen, anfangs mit Dynamit und später mit der Stahlkugel, zu erzeugen und von seinem späteren unternehmerischen Reichtum. Den hatte ihm seine patentierte Erschütterungsmessung bei der weltweiten Suche nach Erdöllagerstätten eingebracht. Die Spannung steigt, denn alle warten darauf, was in den nächsten Minuten passieren wird.

Einschlag mit dumpfem Rumms

Langsam bewegt sich die Kugel, von einer elektrischen Seilwinde gezogen, nach oben. Die Blicke der Studis kleben an ihr, wie Fliegen am Sonnentau. Handys werden gezückt. Oben angekommen, verharrt der Stahlkoloss einige Sekunden an der Fallturmspitze. Brunk lässt die Studenten den Countdown zählen. Three… two… one… Dann zieht er kräftig am Auslöseseil und die Kugel stürzt aus knapp 15 Metern Höhe zu Boden. Eineinhalb Sekunden später schlägt sie mit einem dumpfen Rumms auf dem merklich erschütterten Waldboden auf. Feuchte Erde spritzt über den Rand des Kraters und die jungen Menschen applaudieren. Auf Wunsch der Gruppe wiederholt Brunk den Fall der Kugel, damit alle ihr persönliches Handyvideo im Kasten haben.

Wiechert'sche Erdbebenwarte

in den Fels gebaut: der Eingang ins Alte Erdbebenhaus.

Foto: Göttingen Tourismus und Marketing / Mischke

Wiechert'sche Erdbebenwarte

Voll funktionsfähig: historische Seismographen.

Foto: Göttingen Tourismus und Marketing / Mischke

Trägheit der Masse

Test mit Kugelschreiberspitze

Nun geht’s ins alte Erdbebenhaus, um die Ergebnisse der Fallversuche zu überprüfen. „Ferne Kunde bringt Dir der schwankende Fels – Deute die Zeichen“, steht über der hölzernen Eingangstür, Wiecherts prosaische Beschreibung seiner Arbeit. Drinnen versehen seit über 110 Jahren die von dem Göttinger Forscher entwickelten Seismographen ihren Dienst. Brunk erklärt den angehenden Ingenieuren die Wirkungsweise der drei historischen Instrumente, die alle eins gemeinsam haben. Sowohl der Astatische Horizontalseismograph, das 17-Tonnen-Pendel, als auch der Vertikalseismograph nutzen die Trägheit der Masse als Funktionsprinzip. Die hohe Empfindlichkeit der Messeinrichtungen zeigt Brunk mit einer kleinen Turnübung und mit dem Anticken des Pendels mit einer Kugelschreiberspitze. Die Ausschläge sind auf den Monitoren deutlich sichtbar.

Wiechert'sche Erdbebenwarte

Kennt sich bestens aus: Wolfgang Brunk am 17-Tonnen-Pendel.

Foto: Göttingen Tourismus und Marketing / Mischke

Nicht springen

Schon vorab hatte Brunk die jungen Leute darauf hingewiesen, dass ein kollektives Springen in dem Raum ein „Erdbeben“ in Fukushima-Stärke auslösen und die Geräte zerstören würde. Obwohl die Ausschläge der Seismographen inzwischen mittels moderner Lasertechnik aufgezeichnet werden, sind die alten Aufzeichnungsverfahren weiterhin in Betrieb. Spitze Schreibnadeln ritzen die erfassten Bewegungen mit 2000-facher mechanischer Übersetzung in berußtes Papier, das zur Konservierung früher mit Schelllack getränkt wurde.

Alles schwarz

Petroleumbrenner im Berußungsraum

Während sich die Gruppe am Ende der faszinierenden Führung bei Brunk mit Applaus bedankt, darf ich noch zuschauen, wo und wie die Papierbahnen berußt werden. „Unser Berußungsraum ist leider ziemlich eng“, sagt er, „da kann ich mit einer so großen Gruppe leider nicht hineingehen.“ Am besten, man berührt nichts in der kleinen Kammer z, denn nicht nur das Papier ist rußig, auch alle anderen Gegenstände sowie die Wände sind schwarz.

Wiechert'sche Erdbebenwarte

Schwarz: Mit einem Petroleumbrenner werden die Papierbahnen berußt.

Foto: Göttingen Tourismus und Marketing / Mischke

Wiechert'sche Erdbebenwarte

Feine Nadel: die Ausschläge werden in den Ruß geritzt.

Foto: Göttingen Tourismus und Marketing / Mischke

Wiechert'sche Erdbebenwarte

Empfehlenswert: Führungen sind über Göttingen Tourismus buchbar.

Foto: Göttingen Tourismus und Marketing / Mischke

Mit einem Streichholz entzündet der Beben-Experte einen Petroleumbrenner, der auf voller Breite dichten schwarzen Qualm und eben auch massenhaft Ruß erzeugt. Nachdem er den Brenner etwas heruntergeregelt hat, schiebt er ihn unter die zwischen zwei Walzen gespannte Endlospapierbahn. Sehr gleichmäßig muss er die Kurbel drehen, damit eine ebenmäßige Rußschicht entsteht und vor allem das Papier nicht in Flammen aufgeht. Höchster Respekt vor denen, die das in früheren Zeiten machen mussten. Damals gab es nämlich keine Absaugvorrichtung und der „Petroleumduft“ schlägt ziemlich heftig auf Riechorgan und Hirn.

Empfehlenswerte Führung

Wenn ihr auf den Geschmack gekommen seid und noch mehr über Wiechert, Mintrop und die Erdbebenmessung erfahren möchtet, solltet ihr diese absolut empfehlenswerte Führung vereinbaren. Das geht sehr einfach über die Homepage des Vereins oder bei der Tourist-Info am Alten Rathaus. An jedem ersten Sonntag im Monat veranstaltet der Verein um 14 Uhr eine öffentliche Führung inklusive Fall der Mintrop-Kugel. Die Führungen dauern rund zweieinhalb Stunden und sind kostenfrei. Um die Arbeit der Station fortführen zu können sind Spenden jedoch höchst willkommen.

 

Dein wöchentlicher Newsletter für Göttingen!

Dein wöchentlicher Newsletter für Göttingen!

Das Team des Mein Göttingen Magazins wirft wöchentlich einen Blick auf ein spannendes Thema aus Göttingen und informiert dich über Veranstaltungen, Konzerte und Events in Göttingen. Gleich abonnieren!

Hat geklappt, wir haben dir eine Bestätigungs-Mail gesendet.