Wenn das Laub sich verfärbt, die Äpfel im Garten reifen und es in vielen Restaurants nach Kürbisgerichten duftet, ist der Herbst gekommen. Spätestens jetzt ist es Zeit mal wieder den Drachen steigen zu lassen. Nicht nur für die Kinder eine Riesenfreude. Ob selbst gebaut oder gekauft spielt dabei erst einmal nur eine untergeordnete Rolle. Hauptsache draußen, Hauptsache Wind, Hauptsache Spaß. Eine gute Gelegenheit dazu ist das Drachenfest, das am 8. Oktober, nach zweijähriger Pause, wieder auf der Drachenwiese veranstaltet wird.
Drachenfest am 8. Oktober
Mit dem Experten auf der Drachenwiese
Das Wetter ist nicht so, wie es sich für einen goldenen Oktobervormittag gehört. 9 Grad, wenig Wind und eine tiefhängende Wolkendecke, aber das Leben ist kein Wunschkonzert. Ich treffe Thomas Fischer auf besagter Drachenwiese in Treuenhagen, wo am 8. Oktober, von 11 bis 16 Uhr das große Göttinger Drachenfest gefeiert wird – stets ein großer Ausflugsspaß für die ganze Familie. Exotische, große, lange, schnelle, phantasievolle und auch selbstgebaute Drachen werden dann am Himmel schweben. Neben den farbenfrohen Fliegern gibt es Stockbrot an der Feuerschale, Glitzer-Tattoos, Holztiere zum bemalen und leckeren Kuchen und Kakao für große und kleine Drachenflieger.

Auf der Göttinger Drachenwiese: Experte Thomas Fischer gibt nützliche Tipps.
Foto: Göttingen Tourismus & Marketing / Mischke
Das Drachenfest in Göttingen findet regulär im Oktober statt.
Video: Jörg Rausch
Historisches Terrain
Wir befinden uns hier auf historisch spannendem Terrain. Die Drachenwiese taucht, wie Thomas weiß, als solche schon auf uralten Göttinger Stadtplänen auf. Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, ein Vorläufer des heutigen Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), hat hier in den Jahren vor 1920/30 bereits Flügelprofile und Flugzeuge erprobt. „Lange vor der Idee, einen Windkanal zu bauen“, sagt er und packt drei Drachen aus.
Vorbereitung: Delta-Drachen besitzen ein Gestänge, das zusammengesteckt werden muss.
Foto: Göttingen Tourismus & Marketing / Mischke
Deltas und Matten
Zwei Deltas, einer davon superleicht, und eine sechs Quadratmeter große Vierleiner-Lenkmatte hat er auf seinem Fahrrad mitgebracht. Er legt die Matte aus, richtet die Schnüre und rollt 20 Meter Leine aus. „Zur Vorbereitung“, sagt er, denn im Moment ist es einfach nicht windig genug.
Die Wettervorhersage verspricht allerdings ein wenig Auffrischung in der kommenden Stunde.
Das ist beim Drachenfliegen zu beachten
“Deltadrachen fliegen immer”
Also kommen die Deltas zum Zuge: „Die fliegen immer.“ Thomas Fischer bringt den Schweizer Ultraleicht-Delta bei nahezu Flaute zum Aufsteigen. Da haben sich die 150 Euro, die so ein Teil aus hauchzartem, aber stabilen Tuch und Carbon-Stäben kostet, ja gelohnt.

Meditativ: beinahe schwerelos schwebt der bunte Delta.
Foto: Göttingen Tourismus und Marketing / Mischke
Für Erwachsene: Sechs Quadratmeter Fläche sorgen für ordentlich Druck.
Foto: Göttingen Tourismus & Marketing / Mischke
Deltas gibt es ab 20 Euro
Es geht aber auch deutlich kostengünstiger. Wer rund 20 Euro anlegt, bekommt dafür schon einen ordentlichen Delta, der für Gelegenheitsflieger völlig ausreichend ist. Selbstbauen ist für Thomas Fischer auch eine Option. Sehr einfach sei das, auch für Anfänger. Thomas Fischer hat im Indien-Urlaub sogar schon aus Treibholz-Stäbchen und Zeitungspapier flugfähige Modelle gebastelt. Anleitungen zum Drachenbauen gibt es im Netz.
Am Hightech-Delta zeigt er mir die sogenannte Waage, die aber auch die meisten anderen Drachen besitzen. Hier sorgt ein verstellbarer Knoten für den richtigen Anstellwinkel des Fluggeräts. „Einfach einmal selbst probieren, in welcher Position der Drachen am besten auf dem Wind liegt“, rät Thomas Fischer.
Beim Aufstieg: Thomas Fischer lässt den Drachen steigen.
Foto: Göttingen Tourismus und Marketing / Mischke
Kinder experimentieren lassen
Kinder machten das ganz automatisch, sie probieren und experimentieren ganz von selbst und das sollten die Eltern auch zulassen. „In der Nähe von Straßen oder Hochspannungsmasten sollte allerdings niemand fliegen“, gibt er mir mit auf den Weg. Inzwischen hat er auch bei etwas auflebendem Wind den regenbogenbunten zweiten Delta in die Luft bekommen.
Wunderschön sieht der Farbklecks vor dem trüben Himmel aus. Die Bewegungen des Open-Keel-Modells mit der großen Luftkammer an der Schleppkante sind weich und fließend, beinahe schwerelos. Thomas Fischer vergleicht dieses Fliegen sogar mit Meditation.
Foto: Göttingen Tourismus und Marketing / Mischke
100 Meter Leine sind erlaubt
100 Meter Leinenlänge sind in Deutschland erlaubt, was einer Flughöhe von rund 80 Metern entspricht, erklärt Thomas Fischer. Mit einer Sondergenehmigung, beispielsweise für Drachenfeste, sind aber auch Flughöhen bis 1000 Meter möglich. Er selbst hat auf seinen großen Rollen stets rund 600 Meter dabei.
Die Wettervorhersage passt, plötzlich kommen ein paar Windböen auf. Mit einem kurzen Ruck ist die vorbereitete Matte in der Luft und Thomas zeigt, was er drauf hat. Respekt, wie er das blau-graue Ungetüm lenkt. Manchmal hebt ihn der Winddruck fast aus den Schuhen. Ich sehe durch das Kameraobjektiv wie es an ihm zerrt, aber gerade das macht es wohl aus. „Versuch‘ den Wind zu verstehen, versuch‘ ihn zu lesen“, sagt Thomas milde lächelnd, „aber stell‘ dich niemals dagegen, denn der Wind gewinnt immer.“
Der Drachenladen in Göttingen
Seit 1984 geöffnet
Im Drachenladen in der Kurzen-Geismar-Straße 34 treffe ich Inhaberin Ariane Bernecker. Sie hat das schon 1984 eröffnete Geschäft 2019 von Ulrike Adler übernommen. Auch Thomas Fischer hat hier 25 Jahre lang gearbeitet.

Foto: Göttingen Tourismus und Marketing / Mischke
Foto: Göttingen Tourismus und Marketing / Mischke
Ariane Bernecker war nach ihrem Geographie-Masterstudium lange als Aushilfe tätig. „Rike hat mir dann die Nachfolge im Geschäft angeboten“, blickt sie zurück. Bereut hat sie es noch keine Minute.
Nettes Team und nette Kund*innen
„Ich komme so gerne zur Arbeit“, sagt sie und lacht fröhlich. Ariane Bernecker hat selbst großen Spaß am Spielen, am Ausprobieren neuer Möglichkeiten der Freizeitgestaltung. Vor allem Jonglieren, die Slackline und Poi stehen bei ihr hoch im Kurs. Poi ist ein Spiel, das seinen Ursprung vor rund eintausend Jahren in der Kultur der neuseeländischen Māori hatte. Im Prinzip geht es darum, mit den Armen zwei Gewichte, die an Bändern befestigt sind, in verschiedensten Figuren zu schwingen.
Foto: Göttingen Tourismus und Marketing / Mischke
Einleiner für Kinder ab fünf Jahren
Ihr Drachenwissen hat sie sich von, wer hätte es gedacht, Thomas Fischer angeeignet. „Für die Kinder“, erklärt Ariane Bernecker, „ist es erst einmal wichtig, dass sie ein Erfolgserlebnis haben damit sie nicht die Lust verlieren.“ Außerdem steht die Sicherheit für sie ganz obenan. Die Drachen sollten schon bei geringen Windgeschwindigkeiten abheben und vor allem nicht zu viel Druck aufbauen. Sie empfiehlt für Kinder ab fünf Jahren die Modelle „Eddy“, „Sleddy“ und „Delta“ – alles sogenannte Einleiner.
Kompakter Spaß: Der “Sleddy” ist stablos und in einer kleinen Tasche untergebracht.
Foto: Göttingen Tourismus und Marketing / Mischke
“Eddy” und “Sleddy”
Der „Eddy“ besitzt die klassische Rauten-Form, ist einfach und schnell aufzubauen und leicht zu fliegen. Die „Sleddy“-Modelle sind stablos konstruiert und ohne weiteren Zusammenbau sofort flugfertig. Vorteil: Trotz ihrer Größe finden sie in einer mitgelieferten Reißverschlusstasche von nur 7 Zentimetern Durchmesser Platz. Delta-Drachen orientieren sich in der Form am gleichnamigen griechischen Buchstaben. Trotz ihrer Größe sind auch sie leicht zu steuern. Alle genannten Drachen sind nach Arianes Berneckers Worten schon unter 10 Stundenkilometern Windgeschwindigkeit dazu zu bewegen in die Lüfte zu steigen.
Beratung ist wichtig
Wer es für größere Kinder oder Erwachsene etwas anspruchsvoller haben möchte, kann sich für sogenannte Zweileiner Lenkdrachen entscheiden. Die gibt es in zwei unterschiedlichen Bauarten. Zum einen als Matte, ohne Gestänge, die ihre Form erst durch den durchströmenden Wind erhält. Zum Zweiten als Stabdrachen, der vor dem luftigen Vergnügen zusammengesteckt werden muss. Noch einen Zahn schärfer sind dann die Vierleiner-Lenkdrachen. Obwohl sie zusätzlich zu den beiden Steuerleinen noch Bremsleinen besitzen, solltet ihr euch vor dem Kauf unbedingt beraten lassen. Gerade dann, wenn ihr noch wenig oder keine Erfahrung im Umgang mit den bunten Drachen habt. Dann steht dem ungetrübten Vergnügen nur noch die Flaute im Weg.